Foto: Spitz-Ahorn, Acer platonoides

Angst ist immer ein Zeichen von Unwissenheit. Je mehr wir wissen, desto weniger Angst haben wir. *Marie Curie*
"Wer weiß, wie Gesetze und Würste zu Stande kommen, kann nachts nicht mehr ruhig schlafen." *Otto von Bismarck*

Man selbst ist immer die Ausnahme. Das macht uns alle ausnahmslos. *Esther Klepgen*

ANGST ist wie eine Falle, die uns gefangen hält. *John Leonnon*

Die Evangelische Pfarrkirche zu Unterriexingen

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 Diese Kirche ist etwas ganz Besonderes. Ich bin schon so oft mit dem Rad  vorbeigefahren und jedesmal dachte ich, da schauste mal rein. Aber dabei ist es geblieben. 

Nun zeige ich ja bei Marius bei der Aktion Black and White kleine und vor allem hübsche Kirchen im näheren Umkreis. 

https://schwabenfrau.blogspot.com/2023/04/die-evangelische-pfarrkirche-zu_1.html

Im nächsten Monat habe noch eine ganz besondere Kirche im Visier, wenn ich vom Herrn Grafen die Erlaubnis bekomme, dort zu fotografieren. Denn in dieser Kirche finden keine Gottesdienste mehr statt. Nur, wenn eine Beerdigung angesagt ist, dann wird hier der Trauergottesdienst abgehalten. Sie ist im Privatbesitz eines Grafen, aber davon dann, wenn ich die Erlaubnis bekomme.

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Im Landkreis Ludwigsburg gibt es nicht viele Kirchen, über die man so wenig Bescheid weiß, wie über diese Dorfkirche in Unterriexingen.

Oft wird gefragt, warum ein so kleines Dorf, wie es einst Unterriexingen war, überhaupt diese Kirche hat.
Das kann nicht zweifelsfrei beantwortet werden, weil hier entscheidende Hinweise fehlen. 

Das liegt einerseits darin begründet, dass die herzogliche bzw. die königliche Kirchengeschichtsschreibung ihre Hauptaufgabe verständlicherweise in der Erforschung der Reformationszeit und der darauffolgenden Entwicklung der Evangelischen Landeskirche gesehen hat, andererseits wurde vom 1828 ohne bewußte Tradition errichteten Bistum Rottenburg die Erforschung der frühen und mittelalterlichen Grundlagen auch nicht mit Nachdruck betrieben. 

Das Erschließung von Quellen zur Geschichte dieser Dorfkirche heute, ist durch die häufig erfolgten Wechsel der Ortsherrschaften und der damit verbundenen Auflösung  mancher Archive erschwert, ja, sogar unmöglich geworden. 

Tatsache ist, dass die zur Schloßherrschaft gehörige Feldkirche zunächst die eigentliche Pfarrkirche mit einem Friedhof war, was sich erst änderte, als eine kleine Dorfkapelle, an der schon lange vor der Reformation eine Frühmeßpfründe bestand, im 17. Jahrhundert bedeutend vergrößert wurde 

Die Dorfkirche in Unterriexingen ist eine spätgotische, massive Chorturmanlage. Schöne Netzrippengewölbe im Chor. Seit 1628 in der Bausubstanz weigehend unverändert.












 

Das Äußere:
Spitzbogige Fenster der Südseite sind wahrscheinlich nur dem spätgotischen Stil nachempfunden.

Das Südportal mit stark umrahmenden Aufbau aus der Zeit der Spätrenaissance. Die Inschrift über der Portalmitte erinnert an die Erweiterung der Kirche.

 


Westgiebel mit Luke für einen Heuaufzug und weitere Lichtöffnungen im Dachgeschoß. Besonders beachtenswerte Form des oberen Westgiebelfensters. Einfach gestaltete Nordseite mit altem gotischen Spitzbogenportal, Kellereingang. 

Turm samt Chor 1628 erhöht unter Einbeziehung von Teilen der Vorgängerkirche. Farbiges Ostfenster. 
Fenster des Junkerturmes mit spitzigem Helmdach zeigen die Wendeltreppensteigung an. In der Außenmauer oben eingelassener Stern das Lamm Gottes darstellend

 Das Kircheninnere

 Der Spruch "Komment her zu mir die ihr mühselig und beladen seid" über dem Chorbogen wurde erstmals 1906 angebracht, dies zusammen mit einer Christusfigur.


 

Beim Blick in den Chor durch den Bogen, der in Turmbreite gehalten ist, fällt vor allem das schöne Farbfenster von Wolf-Dieter Kohler (Stuttgart) aus dem Jahr 1955 auf. Es stellt die Leidensgeschichte und Auferstehung Christi dar. Es ist das einizige Ostfenster des Kircheninneren. Im Osten liegt Jerusalem, von dort kommt das Licht, von dort erwartete die Gemeinde die Widerkunft ihres Herrn. 

                                               


Der Altar steht seit 1906 im Chor, zunächst versehen mit einem anno 1900 gekauften schwarzen Kruzifix. Das jetzige wurde erst später gesetzt. Es wird einem unbekannten  oberschwäbischen Meister zugeschrieben, 

 
 

Bei der Renovierung der Kirche im Jahr 1955 wurde u.a. diese Schmuckinschrift freigelegt.
Im August 1685 ließ Philipp Jakob Miller über der Türe zur Sakristei eine Inschrift anbringen 

"aus besonderer christlicher Zuneigung gegenüber diesem Gotteshaus".

Miller war höchstwahrscheinlich 20 Jahre württembergischer Amtmann in Unterriexingen, bevor er spätestens 1681 zum Obervogt von Bietigheim aufgestiegen war. Diese Stelle hatte er acht Jahre inne. Anscheinend bekleidete er sie neben seinem Amt im Dorf weiter. Durch seine lange Tätigkeit hier, durch Übernahme einiger Taufpatenschaften z.B. bei den Familien Schilling und Heber, und nicht zuletzt durch die Taufe seiner ältesten Tochter Rosine anno 1680 hier am Ort, hatte Miller eine starke Bindung und Anhänglichkeit zu dieser Kirche, westhalb er folgende Inschrift stiftete: 

Deine Auferstehung Herr, machet,  daß ich nimmermehr werd im Grabe liegen, sondern mich gehn Himmel fliegen.
Ewiglich zu dienen dier auch zu preisen mit Begier, Deinen Namen mit den Frommen, so durch dich in den Himmel kommen.

Auf christliche Affektion gegen diesem Gotteshaus beygesetzt von Philip Jakob Millern, letztmaliger Fürstl. Württemberg. Vogten in Bietigheimund 20-jährigem Ambtmann zu Unterriexingen.
Dem 5. Aug. Anno 1685



 

Im Kirchenschiff fallen neben dem Altar noch zwei Dinge auf.
Der Taufstein, die Kanzel und der Grafenstuhl.

Der massive Taufstein stammt aus der Barockzeit ist stilistisch aber der Renaissancezeit angeglichen. Es stellt eine schön verzierte Steinmetzarbeit dar und trägt  oben auf der Steinplatte die Jahreszahl 1720. Dazu gibt es noch ein Taufgeschirr aus dem Jahre 1905.

 


Der Standort der Kanzel in der Mitte der Nordwand findet sich nur selten in württembergischen Kirchen. Scherzhaft war schon zu hören, dass der Pfarrer in Unterriexingen zur Tür hinaus predigt. 

 Die schmale steinerne Kanzel wurde vermutlich aus der Vorgängerkirche übernommen und wäre somit spätgotisch. 

Das Bild von der Kanzel ist leider nichts geworden. 

Das Brüstungsbild des Grafenstuhls weist noch auf die ehemaligen Stifter hin. Unklar ist, an welcher Stelle sich dieses Werk befand, als die gräfliche Loge noch auf der Empore war. 

Die Stühle sind original und wurden sogar einmal bei einer Ausstellung in Japan gezeigt. 



 

Auf dem Mittelfeld ist das Allianzwappen des Joh. Philipp von Sperberseck und der Regina Katharina von Sternenfels mit der Jahreszahl 1685 und einem Bibelspruch zu sehen.
Links davon sehen wir ein Medaillon mit einer Frauengestalt, die den Glauben (lat. fides) darstellt. Die Frau sitzt unter einem Baum und im Wolkenkranz sind die hebräischen Buchstaben des Namens Gottes zu lesen. 

Dazu noch die Worte "sola fides" - allein der Glaube -, das ist einer der wichtigsten reformatorischen Grundsätze. Rechts neben dem Allianzwappen ist Daniel in der Löwengrube dargestellt mit der Überschrift: "Si deus nobiscum quis contra nos" - ist Gott für uns, wer mag wider uns sein. Den beiden runden Medaillons sind Bibelsprüche beigefügt und die drei Felder werden durch Engelsdarstellungen geteilt.

Die beiden Gedenktafeln im Grafenstuhl stammen von Johann Matin Reyscher. Er stand seit 1726 als edelmännischer Amtmann im Dienst des Barons von Leutrum.

In der Kirche gibt es heute eine Bankheizung, früher wurde hier mit einem Ofen geheizt. 

Ein ganz besonderes Kleinod dieser Kirche ist das einzig erhaltene Banktürle. Es erinnert an die Zeit, als eine Verpachtung der Kirchenbänke noch eine gute Einnahmequelle für die Gemeinde war. 


Das vorhandene Türle trägt die Jahreszahl 1784 und den Namen Anna Maria Rugertin.
Ein noch heute vorkommender Name in Unterriexingen: Rugart.

1906 wurde die Platzverpachtung aufgehoben.

Die Emporebrüstung wird von einer Reihe naiv gemalten Aposteln geschmückt. Sie sind ohne besonderen Kunstwert, die zeitliche Enordnung ist 1680.
Bei einer der Bilderrückseiten dürfte es sich um ein Handwerkerzeichen anläßlich einer Renovierung oder um eine Kratzarbeit Jugendlicher handeln, denn für diese Zeit sind sie nicht kunstvoll ausgeführt. 

Von den 14 erwählten Jüngern sind 10 abgebildet. Als Zeichen der Vollendung haben sie goldene "Scheiben" (Nimben oder Heiligenscheine) Es fehlen Judas Ischariot, Philippus aus Bethsaida, dem man ein apogryphes Evangelius zuschreibt. Thaddäus sowie Bartholomäu, dem man in Armenien im Tode die Haut vom Leibe zog. 

Erkennbar sind:

1. Der Salvator Mundi, Jesus mit Segensgeste hat die Weltkugel in der Hand,

2. Petrus, mit den zwei Schlüsseln.

3. Andreas, der Bruder von Petrus, Er starb am Kreuz mit schräg gestellten Balken,

4. Paulus, der anno 67 in Rom enthauptet wurde,

5. Johannes, der Lieblingsjünger von Jesus. Er starb hochbetagt um 100 in Ephesus,

6. Thomas, er starb 67 durch eine Lanze,

7. Jakobus der Ältere, der 44 als erster aller Jünger in Jerusalem durch das Schwert starb. Im 7. Jahrhundert kamen seine Gebeine vermutlich ins spanische
Santiago di Compostela. Der Pilgerstab weist auf die weltberühmte Wallfahrt "zum wahren Jakob" (Jakobspilgermuschel, usw.) auf diesen Ort hin,

8. Jakobus der Jüngere, ein Sohn des Alphäus. Die Keule in seiner Hand wird auch als Zeichen für den Martertod gedeutet. 

9. Matthäus, er war Zolleinnehmer in Kapernaum. Der Helebardenstil war ein oft benutztes Marterinstrument, 

10. Simon Zelotes, er starb am 1.7.47. Die Säge zeigt, dass er auch den Martertod gestorben ist,

11. Matthias, er wurde durch ein Los durch die Jünger als Ersatz für Judas erwählt, wirkte in Äthiopien. Er wurde enthauptet, das Henkersbeil erinnert daran.  

 


 




Die Orgel ist 1882 bei der Firma B.G. Weigle in Stuttgart gebaut worden.
Im Sonntagsgottesdienst erklang das am 13.8.1882  für 4150 Mark teure Instrument zum ersten Mal in der Darmsheimer Kirche (Dekanat Böblingen).
Die Orgel wurde 1955 von der Gemeinde Darmsheim kostenlos dieser Kirche überlassen.
Allerdings fielen hier Kosten von 10.000 DM an.
Das Gehäuse ist aus Tannenholz und passend zum Renaissancestil. 



Drei Seitentafeln mit Blumenmustern hat der weltberühmte Architekt Bruno Taut 1906 persönlich gemalt.   

Zu sehen rechts oben. und
hier:






Hier auf diesem Bild sieht man die Kanzel etwas, die tatsächlich sehr weit vom Altar und mehr an der Türe befindet.

Es gibt noch viel viel mehr in dieser Kirche und man könnte noch viel mehr darüber berichten, aber das war mir dann doch etwas zu viel. 

Wer diese Kirche einmal besuchen möchte, dem empfehle ich einen Gottesdienst zu besuchen. Es lohnt sich auf jeden Fall.
Es ist eine Kirche mit so vielen wertvollen Dingen, dass man vor Ehrfurcht nur noch staunen kann. 


 

Wer nun bei Marius reinschaut, kann diese Kirche auch in schwarz/weiß sehen, hier habe ich etwas gespielt. 

Ich bedanke mich bei der Mesnerin dieser Kirche und bei Herrn Pfarrer Hermann.
Sie haben es mir ermöglicht, diese Kirche alleine anschauen zu dürfen.
Als Quelle für diesen Bericht gebe ich den schönen bebilderten Kirchenführer für die Evangelische Kirche Unterriexingen an.
Die Autoren sind Harald Goldschmidt und Wolfgang Weber.
In diesem Büchlein steht noch viel mehr und es ist durchaus interessant, darin noch mehr zu lesen.

Gartenwonne

 

Kommentare

  1. Was für ein Beitrag ... Hut ab liebe Eva. Soviel Informationen auf einmal über einem so wundervollen Ort. Bin begeistert! Von deinem Beitrag aber auch von der Kirche selbst .
    Übrigens Tolle Bilder zu dem Thema ...

    Liebe Grüße czoczo

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  2. Liebe Eva,
    vielen Dank für diesen sehr schönen Post. Ich schaue mir auch immer jede Kirche an, an der ich vorbeikomme, wenn ich denn Zeit habe und die Türen nicht verschlossen sind, aber eine solche Kirche habe ich noch nie gesehen. Wirklich sehr beeindruckend. Und soviel Geschichte, einfach faszinierend.
    Und auch wirklich ungewöhnlich, das ein einst so kleines Dorf eine solche Kirche hatte. Ich muss da an die Kirche denken, in die meine Großmutter immer ging. Sie war viel kleiner und sehr bescheiden, obwohl sie gleich für zwei Dörfer gedacht war, denn in unserem Dorf, in Wüschheim, wo ich aufwuchs, gab und gibt es keine Kirche. Irgendwann wurde die Kirche dann aber ausgebaut, sehr modern und ohne Atmosphäre.
    Ich wünsche Dir ein wunderschönes Wochenende.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

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  3. Hallo Eva,
    du hast dir wieder viel Mühe gemacht und viele detailreiche Bilder gepostet.
    Die Kirche kenne ich zwar persönlich nicht, aber du hast sie ja sehr gut beschrieben.
    Schaue auch immer gerne, wenn es möglich ist, in Kirchen hinein.
    Wünsche dir einen schönen Sonntag.
    VG
    Oskar

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    Antworten
    1. Es gibt vieles, das man nicht kennt und es lohnt sich immer wieder in der Gegend umzusehen.
      Da kann man viel sehen, was man nicht kannte.
      Übrigend, wenn du Lust hast, dann schau dir dieses Video von
      Ulrike Guerot an, das siehst du genau, wie es um unsere Gesellschaft bestellt ist. Da wird sich aber auch nichts mehr daran ändern.
      https://www.youtube.com/watch?v=vU3u3WtypyU&t=1192s
      Man kann sich das Leben nur noch so einrichten, dass man entspannt ist.
      LG Eva

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  4. sehr schöne Bilder
    von einer beeindruckenden Kirche
    ja.. oft kann man auch in kleinen Orten Kirchen oder Baudenkmäler
    entdecken die man dort nicht vermutet
    sehr interessant die geschichtlichen Details
    ich wünsche dir einen schönen Sonntag und Wochenanfang
    Rosi

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