Im Leben gibt es etwas Schlimmeres als keinen Erfolg zu haben: Das ist, nichts unternommen zu haben. * Franklin Delano Roosevelt*
"Albernheit und subtiler Humor haben für Scharfsinnige so viel miteinander gemeinsam, wie Dummheit und Unwissen." *Christa Schyboll*
"Auf dem Glatteis des Lebens rutscht nur der ohne Brüche, der ein Korsett trägt mit Stäben aus geistiger Frische. " *Christa Schyboll*
Sprich leise und höflich, aber trage stets einen dicken Knüppel bei dir. *Theodore Roosevelt*
Mancher Mensch muss erst mit dem Kopf gegen einen Baum rennen, bevor er merkt, dass er auf dem Holzweg ist. *Wilhelm Busch*
Ich weiss nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. *Georg Christoph Lichtenberg*

"Besser ein anständiger Feind als ein unanständiger Freund." *Christa Schyboll* Anstand

Die Geschichte von Robert und Anna

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Bild:  Nordkap, Nordkapreise 2011


Die Geschichte von Robert und Anna war wie ein staubiges Buch, das seit Jahren im Regal stand und das niemand mehr aufschlug. 

Genau wie das große alte Haus, in dem sie lebten. Es hatte einmal Annas Eltern gehört und als sie es erbte, schien es der perfekte Rahmen für eine gemeinsame Zukunft mit Robert zu sein. 

Damals, vor sieben Jahren, war er charmant, ambitioniert und behauptete ein Künstler zu sein, der nur auf den Durchbruch wartete. Doch der Durchbruch blieb aus und mit der Zeit bröckelte nicht nur die Fassade des Hauses, sondern auch Roberts Fassade. 

Aus dem ambitionierten Künstler wurde ein Mann, der den Großteil des Tages in dem abgenutzten Ledersessel im Wohnzimmer verbrachte, eine verräucherte Holzpfeife im Mundwinkel. "Ich denke nach", pflegte er zu sagen, wenn Anna zaghaft fragte, was er den ganzen Tag so treibe. Das einzige Ergebnis seines Nachdenkens waren jedoch Wolken aus billigem Pfeifentabak, die sich wie ein schaler Schleier über die Möbel legten. 

Anna war das Gegenteil. Sie war leise, unsicher und hatte gelernt, sich den Raum, den Robert mit seiner lauten Passivität einnahm, immer weiter zu verkleinern. 

Sie arbeitete als Grafikerin in einer kleinen Agentur, ein Job der sie nicht ausfüllte, aber die Rechnungen bezahlte. Zumindest einen Teil davon. Robert, der einst voller Stolz die Hälfte der Kosten übernommen hatte, zahlte immer weniger. Zuerst war es nur eine vergessene Rechnung, dann wurde sein Anteil an der Miete monatlich kleiner. 

"Die Galerie hat die Ausstellung wieder verschoben", sage er dann, oder: 
"Der Mäzen zögert noch."

Anna sagte nichts. Sie biss die Zähne zusammen und überwies den fehlenden Betrag heimlich von ihrem eigenen Konto. Die Scham, zuzugeben, dass sie sich von einem Mann aushalten ließ, der nichts hat, war zu groß. Sie fühlte sich wie eine Betrügerin in ihrem eigenen Leben. 

Der Wunsch, ihn loszuwerden, war zu einem ständigen Begleiter geworden, ein surrendes Geräusch in ihrem Hinterkopf, das lauter wurde, je stiller es im Haus war. Sie stellte sich vor, wie sie seine Koffer packte, die Pfeife aus dem Fenster warf und endlich wieder atmen konnte. 

Doch dieser Wunsch stieß immer mehr an die gleiche, harte Mauer: 
die juristische Realität. 

Diese juristische Realität, die vorherrschende Wirtschafts- und Geschäftsordnung, hatte das Leben in eine unerbittliche Effiziens gepresst. Alles war bewertet, verrechnet und in Algorithmen gegossen. Eine Trennung ohne offiziell genehmigten Trennungsantrag war fast unmöglich. Die gemeinsame Wohnungsadresse, die verflochtenen Finanzen, die geteilten Steuerklassen - das System sah sie als Einheit. 

 Eine Einheit zu trennen, erforderte einen bürokratischen Akt, der Monate dauern und Unsummen kosten konnte.

Vor allem aber erforderte er einen Nachweis der "wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit"  

Und wie sollte sie das begründen, dass ihr Partner eine faule Pfeife war? Als System kategorisierte Robert als "Künstler im Übergang" - ein Status, der ihm gewisse Vergünstigungen einbrachte und eine Trennung ohne sein Einverständnis zu einem finanziellen Desaster für Anna gemacht hätte. 

Also blieb sie. Gefangen in ihrem eigenen Haus. Jeden Abend, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, roch die Luft schwer nach Tabak und Untätigkeit. Robert thronte in seinem Sessel, ein König der Bedeutungslosigkeit und nickte ihr zu. 

"Alles gut im Büro, Schatz!"

Eines Abends platzte ihr der Kragen. Die Rechnung für die neue Heizung war gekommen, eine astronomische Summe. Robert hatte, wie abgesprochen, seinen Anteil auf ihr Konto überwiesen. Es war genau ein Drittel dessen, was er hätte zahlen müssen. 

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. 

Sie trat vor den Sessel. Der Geruch war ihr plötzlich unerträglich. "Robert", sagte sie und ihre Stimme zitterte nicht. "DAS REICHT NICHT, DAS REICHT BEI WEITEM NICHT. 

Er nahm die Pfeife langsam aus dem Mund, musterte sie mit einer Mischung aus Belustigung und Irritation. 
"Ach Anna. Mach doch kein Drama. Du weißt, dass ich gerade an einer neuen Serie arbeite. Das wird der Durchbruch."

"Du arbeitest nicht!", fuhr sie ihn an. Die Worte kamen heraus, wie sie es sich seit Jahren nicht getraut hatte.
"Du sitzt hier nur! Du bist nicht nur eine Pfeife rauchend, du bist eine! Eine lebende, atmende Pfeife!"

Robert erstarrte. Seine Augen verengten sich. Die Belustigung war verschwunden, übrig blieb etwas Kaltes, Bösartiges. 

"Pass auf, was du sagst Anne. Du lebst in deiner kleinen, ordentlichen Welt und hast keine Ahnung von kreativen Prozessen. Und vergiss nicht: Ohne mich wärest du ganz allein in diesem riesigen Haus. Das System würde dich auffressen. Wer würde denn dann deine Rechnungen mitzahlen? Wer würde dich vor der Einsamkeit bewahren?"

In diesem Moment erkannte Anna die ganze Wahrheit. Er wusste genau, dass sie gefangen  war. Er nutzte ihre Unsicherheit und die juristischen Fesseln bewußt aus. Er war nicht nur passiv, er war böse in seiner bequemen Boshaftigkeit. 

Ohne ein Wort drehte sie sich um und ging in die Küche. Sie wußte, sie konnte ihn nicht vor die Tür setzen. Nicht heute, vielleicht nie. Aber etwas in ihr hatte sich verändert. Die Angst war weg, aber sie wurde nun von einer eisigen, klaren Wut begleitet. 

Sie öffnete das Fenster und ließ die kalte Nachtluft herein, um den Rauch zu vertreiben. Sie wußte, der Kampf würde nicht mit lauten Schreien gewonnen werden, sondern im Stillen. Sie würde sich informieren, einen Anwalt konsultieren, jeden juristischen Paragraphen studieren. Sie würde ihre finanzielle Unabhängigkeit Stück für Stück zurückerobern, auch, wenn es Jahre dauern würde. 

Drinnen im Wohnzimmer hustete Robert. Die kalte Luft störte sein behagliches Nest. Ein kleines, fast unsichtbares Lächeln legte sich auf Annas Lippen. Es war nur ein geöffnetes Fenster. Aber für sie fühlte es sich an, wie der erste Akt der Befreiung.

Der Kampf hatte gerade erst begonnen.  

 

Bild: Storfjord Norwegen, Nordkap 23 Uhr
Nordkapreise 2011

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